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Frust und Lust des Quadrillereitens

Zuvor: Was ist das, eine Quadrille?

Nun, es gibt Quadrillen und Quadrillen.

Die eine wird meist im Winterhalbjahr in den Vereinen als fröhliches, gesellschaftliches Reiten mit anschließendem netten Beisammensein veranstaltet, zur Freude und zum Spaß der Reiter, um in die dunkele Jahreszeit etwas reiterliches Vergnügen zu bringen, weitab von Stress und Härte. Glanzlichter sind hier meist die Faschings- und die Abschlussquadrille in der Wintersaison.

Dann gibt es die Spring- und Fahrquadrillen.

Und schließlich die Dressur-Quadrille, die an Leistung, nämlich am Turnierwettkampf, orientiert ist. Von dieser soll hier die Rede sein. Eigentlich ist eine Turnier-Quadrille im weitesten Sinne eine „Breitensportliche Turnierdisziplin“ auf normativer Grundlage. Das klingt kompliziert, heißt aber nichts anderes, als dass 4 bis 16 Reiter nach einem für alle Wertungsrichter verbindlichen Bewertungsbogen ihre Vorführung als synchrones Formationsreiten präsentieren.
Das sind recht strenge Maßstäbe:
Es sollen alle Kriterien der jeweiligen Klasse – im Fall der Pichelsberg-Quadrille der Klasse L – gezeigt werden.
Bewertet werden in der A-Note (Ausführung):

Schritt, Trab, Galopp, die Rittigkeit, Losgelassenheit und Durchlässigkeit der Pferde, Schwung, Sitz und Einwirkung des Reiters sowie die geforderten und gezeigten Lektionen.

In der B-Note (Künstlerische Gestaltung):

Das Herausbringen der Pferde und Reiter, inhaltlicher Ideenreichtum (Choreographie), Schwierigkeitsgrad, die Übereinstimmung und das Gleichmaß zur Musik, die Frische, Harmonie und Korrektheit der Figuren.

Die B-Note wird gedoppelt und ergibt zusammen mit der A-Note das Gesamtergebnis.

Man sieht, da ist eine ganze Menge verbindlich zu beachten.

Nach diesem etwas trockenen Ausflug zum Verständnis in die Grundlagen soll geschildert werden, wie eine Turnierquadrille entsteht, denn irgendwann fängt alles einmal bei Null an.
Die Schwierigkeit beginnt bereits bei der Auswahl der Pferde (auch Schulpferde) und Reiter (auch Schulreiter), sie müssen aus einem Verein sein.
Gehen wir davon aus, dass – wie in der Pichelsberg-Quadrille – mit 8 Pferden/Reitern sowie 2 Ersatzpferden/-Reitern geritten wird (Ersatz deshalb, weil niemand garantieren kann, dass alle Pferde und Reiter bis zur Prüfung fit bleiben). Die Pferde sollen möglichst farblich zueinander passen (ein bunter Haufen ist unerwünscht) sowie sicher in den Lektionen sein. Das gilt natürlich auch für die Reiter. Dann müssen die Reiter viel Zeit zum Training mitbringen (das Training beginnt ca. 5 Monate vor den Prüfungen!). Können nur 7 Reiter zum Training kommen, platzt die Sache bereits – Frust.

Als nächstes muss man sich über das Programm, d.h. die Figuren in den 3 Grundgangarten, einigen, die man in 12 bis 15 Minuten (Minimal- und Maximalzeit) zeigen will. Schwungvoll und schwierig soll es sein, aber vor allem synchron reitbar. So manch schöne Figur wandert vom Papier in den Papierkorb, weil nicht flüssig und synchron umsetzbar – Frust.

Aber irgendwann steht das Programm und dann geht es ans Lernen, denn natürlich wird auswendig geritten.

Zum Beispiel:

Eine schwere Einzelkür Klasse S dauert maximal 6 ½ Minuten, man reitet allein im Viereck und niemand merkt, wann man ein bisschen improvisiert.
Bei der Pichelsberg-Quadrille ist man 15 Minuten „unterwegs“ und muss unbedingt auf 7 weitere Reiter achten. Himmel, wie oft verreitet man sich am Anfang. „Ich weiß nicht mehr, wo es weitergeht“, und schon stehen 7 Reiter ebenfalls! Alles von vorn – Frust!

Wann dann aber der Ablauf in den Köpfen ist (Neudeutsch: „mental verarbeitet“), wird´s erst richtig schwierig. Alles muß synchron geritten werden, d.h. mit absolut genauen Abständen zum absolut genauen Zeitpunkt.
Einfacher gesagt: Die Pferde müssen wie mit einem Lineal gezogen hintereinander, nebeneinander gehen, ob auf gerader oder gebogener Linie, versetzt oder diagonal.

Das bedeutet für jeden Reiter:

Gucken und nochmals gucken nach dem Nebenmann, nach dem Vordermann und möglichst noch nach dem Rest. Vergiss, dass Du je Einzelreiter warst!

„Abstände – gucken, Abstände – gucken!“ – das sind sicherlich die häufigsten Kommandos beim Training. Am Anfang klappt das kaum. Chaos, Super-Frust. Die Geduld des Quadrillen-Chefs wird arg strapaziert.

Um das Gefühl für Gleichmäßigkeit zu bekommen, hat es sich hervorragend bewährt, dass anfangs immer wieder zwischen durch die Reiter die Lektionen zu Fuß laufen. Mühsam aber wirksam.
Nun ist der Zeitpunkt ran, dass die Musik dazukommen muß. Früher gab es hier für spezielle Musiken, sogar Herr van Beethoven hat eine „Musik zu einem Reiterballett“ komponiert. Heute ist man lockerer, Poppiges (nicht vokal!) ist gefragt.

Aber: Der Rhythmus der Musik soll in Trab, Schritt und Galopp möglichst mit dem Bewegungsablauf von 16 Pferdebeinen harmonieren (in diesem Jahr haben wir zwei Kassetten „verschlissen“, bis die dritte dann passte).

Mit der Musik kommt langsam neue Motivation (die zwischenzeitlich arg daniederliegt) in die Mannschaft, das Gefühl der Zusammengehörigkeit wächst, das Reiten wird exakter.
„Da ist schon viel Schönes dran!“
Das geht „runter wie Öl“. Lust.

Zwischendurch kommt dann wieder der Absturz. Alles, was schon erarbeitet schien, klappt nicht mehr. Sogar die Frage taucht auf: „Sollen wir das überhaupt machen?“ Wieder Frust.

Dann aber doch. Nach vielen Wochen saurem Training spüren alle langsam den Erfolg und das Gefühl, gemeinsam etwas geschaffen zu haben. Lust.

Ein Einzelreiter kann dieses Gefühl nicht nachvollziehen. Große Lust.

Wenn dann der Zeitpunkt der Prüfung naht und sich die Mannschaft auf die Reise macht (in diesem Fall zum Deutschen Quadrillen Championat in Hamburg), werden die Nerven der Reiter dünn. Jetzt zeigt sich, wie gut, wie intakt die Mannschaft ist. Die Nervenstarken stützen die „Flatterigen“, denn wenn jetzt einer versagt, ist alles hin!
Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Kamp um Harmonie in der Mannschaft ist etwas Besonderes. Es ist so hart erarbeitet!
Und dann kommt die Prüfung selbst. Höchste Konzentration und Anspannung. 8 Reiter und der Quadrillen-Chef wollen 15 Minuten nur das eine: Das Championat und die Schwarz-Rot-Goldene Schärpe gewinnen.
Es hat sich in drei gewonnenen Championaten gezeigt, dass diese Anspannung und der eiserne Wille zum jeweils besten Ritt der gesamten Trainingszeit führte.
Und wenn dann der Sieg feststeht (1991 mit der Traumnote 10 für die beste Choreographie und einem Sonderehrenpreis), die Meisterschaft gewonnen ist, der Jubel und auch die Freudentränen losbrechen, dann ist alle Rackerei vergessen und es bleibt nur eins:

Es ist Lust eine Quadrille zu reiten!

Und der Bonbon 1991 obendrauf: Pichelsberg ist aufgrund des wiederholten Titelgewinns „Leistungszentrum des Quadrille-Reitens“ in Berlin-Brandenburg geworden.

Sprach da jemand von Frust??

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